Der eine will mehr, der andere weniger. Dreimal in der Woche ist für den einen viel, dreimal im Jahr für den anderen zu wenig. Wild soll er sein oder doch lieber romantisch? Unerwartet und spontan oder geplant? Lieber schnell, langsam oder beides? Orgasmus – ja, nein, vielleicht? Mittel zum Zweck? Sex ist ganz vieles, aber vor allem die lustvolle Begegnung zwischen zwei Menschen. Warum genau fällt es uns aber so schwer, darüber zu sprechen?
Wir werden schon in der Kindheit geprägt und sammeln hier die ersten Erfahrungen mit dem Thema Sexualität – sprich wie unsere Eltern und das soziale Umfeld mit dem Thema umgehen. Wie viel Platz hatte Sexualität im Rahmen der eigenen Familie, sich selbst zu erkunden, sich zu entdecken und genussvoll seinen Körper zu erforschen? Wie offen duften Fragen über das Thema Selbstbefriedigung und Sexualität gestellt werden? Was für Antworten gab es auf unsere Fragen? Waren die Antworten wertend? Wie wurden Grenzen akzeptiert? Haben Sie sich im Alleingang aufgeklärt oder mit Freunden, Pornos oder der Bravo? Welche Erfahrungen haben Sie beim ersten Petting oder dem ersten Geschlechtsverkehr gesammelt? All das und noch vieles mehr prägt massgeblich unseren Umgang mit Sexualität, wie wir Sexualität erleben und ob wir überhaupt Worte finden, um darüber zu sprechen. Unser Repertoire an Erfahrungen bildet die Grundlage für unsere Einstellung zum Sex – was wir uns erlauben oder eben nicht.
Haben wir guten oder schlechten Sex?
Es gibt eine Reihe von Merkmalen, die guten Sex kennzeichnen. Ob Sex gut oder schlecht ist, ist aber in erster Linie Ansichtssache und wird von jedem anders definiert. Guter Sex ist also vor allem Sex, den man für sich selbst als gut definiert hat, weil er sich lustvoll und schön angefühlt hat. Was genau sich so schön angefühlt hat, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.
Darüber hinaus gibt es Kriterien für guten Sex, die immer zutreffen:
- Der Sex ist freiwillig und gewollt.
- Sie können sich zeigen, wie Sie sind.
- Ein Nein darf geäussert werden und wird akzeptiert.
- Sie wissen, was Ihnen beim Sex guttut und was Sie wollen.
- Sie fühlen sich befriedigt, ob mit oder ohne Orgasmus.
Schlechter Sex ist in dem Fall das Gegenteil. Was genau sind aber die Kriterien für schlechten Sex?
Schlechter Sex zeigt sich auf unterschiedliche Weisen. Beispielsweise indem Sie sexuell alles machen und zulassen, auch wenn es für Sie nicht lustvoll ist, weil Sie denken, das würde Ihrem Partner gefallen.
Sex ist ebenfalls schlecht, wenn er nicht echt ist. Wenn Sie nur nach Mustern handeln: „So muss es sein“ und „umso lauter desto besser“. Wie wäre es umgekehrt für Sie, wenn Ihr Partner eine Show liefert, stöhnt, seinen Körper windet und sich alles als Theater entpuppt? Es würde sich für Sie nach ziemlich schlechtem Sex anfühlen.
Sex zu haben, bei dem immer wieder die Grenzen einer Person überschritten werden und Dinge gegen ihren Willen passieren, fühlt sich ebenfalls nicht gut an. Dies kann unter anderem durch emotionalen Druck geschehen.
Auch Wiedergutmachungssex (nicht zu verwechseln mit Versöhnungssex), der nur stattfindet, weil Sie den Eindruck haben, dass schon lange nichts mehr sexuell zwischen Ihnen lief und der Kalender eine lange Durststrecke anzeigt, fühlt sich wenig nach lustvollem und freiwilligem Sex an. Denn nur Sex zu haben, weil man ein schlechtes Gewissen hat, ist nicht wirklich guter Sex, oder?
Und auch, wenn die Gedanken beim Sex auf Wanderschaft gehen und man über Einkaufslisten, Kinderbetreuung, Wäsche waschen oder darüber nachdenkt, was der Chef noch wollte, lässt man lustvollen und verbindenden Sex nicht zu. Der andere gibt sich vielleicht die grösste Mühe und versucht, den Partner lustvoll für sein Projekt zu begeistern, doch dieser ist mit seinem Kopf ganz woanders. Da ist schlechter Sex vorprogrammiert und macht sicher keinen Spass.
Diese Liste ist nicht abschliessend gedacht, sondern soll einen kleinen Eindruck vermitteln, was die Lust am Sex nimmt und grossen Einfluss darauf hat, ob man sich (nicht) auf Sexualität einlassen kann.
Wie rede Sie über Sex?
Klappt es im Bett nicht mehr, ist das leider oft mit viel Scham, Wut und Hilflosigkeit verbunden. Manchmal sucht man den Fehler bei sich selbst, manchmal ist es aber auch einfacher, dem anderen die Schuld zuzuschieben oder eben den Stress verantwortlich zu machen. So oder so, Kommunikation wird oft vermieden. Wer redet schon gerne darüber, dass die Erektion nicht so lange hält, dass der Orgasmus ausbleibt, dass der Penis macht, was er will oder eben überhaupt nichts macht, dass Streicheln gar nicht so toll ist, dass das Berühren des eigenen Geschlechts eher als ekelhaft und abstossend empfunden wird, dass der Penis oder die Vagina mit dem Knie oder dem Arm gleichgesetzt wird, wenn es um Berührung geht, dass im Kopf noch schnell die Einkaufsliste durchgegangen wird, dass noch ein tiefer Ärger vom letzten Streit auf Klärung wartet, dass der Arbeitsstress jegliche Energie abverlangt oder dass immer ein Ohr bei den Kindern ist? Sex zugunsten der guten Stimmung zu Hause lässt den emotionalen Graben in der Partnerschaft noch grösser und breiter werden und kappt letztendlich die Verbindung zueinander.
Über Sex zu sprechen, ist Übungssache und lässt sich lernen. Hier ein Beispiel aus meiner Praxis:
Sina und Martin im Erstgespräch
(Alle Namen und Inhalte wurden anonymisiert.)
Martin, 45, und Sina, 42, verheiratet seit 12 Jahren, Kinder 2 und 5 Jahre alt, sind bei mir in der Sitzung. Seit der letzten Geburt bleibt der Sex aus, Zärtlichkeiten im Alltag gibt es kaum. Kommt es zum Sex muss es schnell gehen und auf das Vorspiel wird verzichtet, denn Sina ist müde und vermutlich wird K2 bald wieder wach. Damit der Haussegen nicht ständig schief hängt, schläft sie mit Martin nach Standardprogramm. Sina spürt wenig und kommt nicht. Erregung und Begehren sind verschwunden und sie empfindet die gemeinsame Sexualität als wenig lustvoll. Meistens fühlt sich Sina danach benutzt, leer und auch unbefriedigt. Worte findet sie für ihr Gefühl nicht. Denn eigentlich haben sie zwei gemeinsame Kinder und im Alltag, sie arbeitet 40 Prozent, funktionieren beide zusammen gut. Nur wenn der Sex ausbleibt, herrscht dicke Luft und Martin ist grantig zu ihr und zu den Kindern und die familiäre Stimmung ist im Keller.
Martin arbeitet 80 Prozent, eigentlich 90 Prozent, betreut einen Tag die Kinder. Papa-Sein und das auch zu geniessen gehört heute zu seinem Leben dazu. Er spürt Sina jedoch nur noch wenig und irgendwie ist sie mehr Mama als alles andere. Die gemeinsame Sexualität empfindet Martin als Akt, der nach Fahrplan verläuft. Als ein Happy End ohne Emotionen, stattdessen blosse Entladung. Er merkt, dass Sina keinen Höhepunkt hat, aber nachzuhaken hat bisher wenig gebracht und endet damit, dass sich Sina zurückzieht. Er hat Mühe, Worte für seine Gefühle zu finden und irgendwie kommt bei Sina sowieso alles falsch an. Als würden sie eine andere Sprache sprechen.
So wie Martin und Sina geht es vielen Paaren, doch die Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt.
Der Therapieverlauf von Sina und Martin
Martin und Sina kommen zu mir in die Praxis, mit dem Wunsch, einen Weg aus der emotionalen Distanz und der sexuellen Lustlosigkeit zu finden. Im Verlauf der Paartherapie lernen beide, wieder eine gemeinsame Leichtigkeit zu finden. Sie lachen mehr und bauen wieder eine emotionale Verbindung zueinander auf. Sie lernen in den Sitzungen, ihre Wünsche und Gefühle in Worte zu fassen. Sie lernen, Bedürfnisse zu äussern und auch, klar nein zu sagen. Sie lernen jeder für sich in Einzelsitzungen, den eigenen Körper neu kennenzulernen und zu entdecken. Sina ist zweimal Mutter geworden und einiges hat sich verändert. Vieles fühlt sich jetzt anders an, manche Stellen wollen keine Berührung, manche dafür mehr. In den gemeinsamen Sitzungen nähern sich beide auch wieder körperlich an. Mit viel Zeit, ohne Druck und mit klar definierten Vereinbarungen lernen sie nun auch wieder, zu zweit ihre Körper zu geniessen und mit Bewegung genussvoll einzusetzen. Sie schaffen sich gemeinsame Zeit – aber ebenso auch Zeit, um sich zu organisieren. Sie lernen, beziehungsorientiert zu kommunizieren und finden wieder zu einer erfüllenden Beziehung. Sie finden inzwischen Worte für ihre sexuellen Wünsche, können dem Partner zeigen, was ihnen Lust bereitet und haben Verantwortung für ihre Bedürfnisse übernommen. Der gemeinsame Prozess hat insgesamt fünfzehn Monate gedauert, der nächste Termin ist in drei Monaten. Als Anker, um zu schauen, ob das Erlernte bleibt und Routine findet.
Fazit
Happy End für alle? Nicht immer. Manchmal ist der Graben zu breit und hat alle Gefühle mit in die Tiefe gerissen, sodass nur Verletzungen bleiben, die heilen müssen. In diesem Fall bleiben nur die Trennung und das Aufarbeiten der bleibenden Verletzungen. Für Martin und Sina wurde jedoch ein gemeinsamer Weg gefunden. Sie haben sich darauf eingelassen und Schritt für Schritt getan und sind sich wieder nah, kennen jetzt viel besser ihre eigenen Körper und Bedürfnisse, fühlen sich verbunden und begehren sich wieder. Sie haben in sich und das Projekt Neuanfang investiert und haben gelernt, dass eine gute Beziehung und auch beide Partner gleichermassen Pflege und Zeit brauchen. Täglich.
Wenn Sie sich ebenfalls lustvollen Sex zurückwünschen und auch den Mut haben möchten, die richtigen Worte zu finden, bin ich gerne für Sie da und freue mich, Sie bei Ihrem persönlichen Projekt zu unterstützen.