In Langzeitbeziehungen kann die sexuelle Lust weniger werden. Oft wird vermutet, dass zu viel Nähe und Vertrautheit zu Langeweile im Bett führen und dass das sexuelle Interesse aneinander dadurch vergeht. Warum das nicht stimmen muss und was Sie tun können, damit trotz Liebe und Vertrautheit die Lust auf Sexualität bleibt, lesen Sie hier.
Sexuelle Unlust im Alltag
In langjährigen Beziehungen ist es ganz natürlich, dass sich Erotik und Sexualität verändern. Die prickelnde Verliebtheit der Kennlernzeit verwandelt sich in Liebe, und Alltag und Routine tun ihr übriges. Chronischer Alltagsstress wird meist als Lust- und Liebestöter Nummer eins genannt. Die im Alltag entstandene Nähe wird häufig mit Langeweile verwechselt. Die Partner küssen sich weniger, gegenseitige Berührungen nehmen ab und das Stressniveau steigt mit den zunehmenden familiären Verpflichtungen an.
Dabei kann das gemeinsame Bewältigen der Herausforderungen des Alltags zu einer wichtigen Ressource in der Partnerschaft werden. Als Paar auch stressige Phasen meistern zu können, kann nachhaltig verbinden. Dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit kann sich dann wiederum positiv auf Lustempfinden und Sexualität auswirken.
Was erhält die Leidenschaft und Lust in einer Beziehung?
Nur wer sich wirklich verbunden fühlt, hat die Chance, dem Gegenüber nahe zu sein. Dieses Gefühl kann sich als sehr aktivierend und lustfördernd für die Beziehung auswirken.
Dies gelingt laut Paartherapeut Jellouschek am Besten durch wechselseitige Hingabe, auch im körperlichen Bereich. Liebe und Leidenschaft werden durch seelische und körperliche Nähe genährt und reduzieren sich, sobald dieser Teil innerhalb der Paarbeziehung weniger wird.
Gerade für Paare, die seit Jahren das erotische Interesse aneinander verloren haben, lohnt es sich, nach den verschütteten Gefühlen zu suchen. Es gilt zu verstehen, aus welchen Beweggründen das sexuelle Interesse und die Nähe verschwunden sind. Oft gehen die Verletzungen, die zu einem Rückzug aus der bestehenden Beziehung führen, auf Erfahrungen aus der eigenen Lebens- und Liebesgeschichte zurück. Sich emotional nah zu sein und dem Anderen einen Blick auf das eigenen Seelenleben zu gewähren, schafft Intimität. So entsteht das Bedürfnis, dem Partner wieder auf allen Ebenen nah zu sein.
Sexuelle Unlust und der eigene erotische Raum
Die Voraussetzung für eine befriedigende Sexualität in Langzeitbeziehungen ist die Autonomie. Wenn einer der Partner darauf angewiesen ist, ständig durch den Anderen bestätigt zu werden, versiegt das sexuelle Verlangen und Interesse des Anderen. Ein gesundes Selbstwertgefühl entsteht nur aus jedem selbst. Dazu ist es nötig, seinen eigenen Handlungsspielraum zu kennen und zu wissen, wer man ist. Wird die sexuelle Lust und die Bestätigung der eigenen Sinnlichkeit nur im Aussen (Affären, Arbeit, Freunde, Kollegen) gesucht, entsteht eine Abhängigkeit. Diese macht es unmöglich, sich angstfrei auf den Partner einzulassen und sich in seinem eigenen Verlangen zu zeigen. Man ist nicht mehr fähig, sich in einzufordern, was man selbst in der Paarbeziehung braucht. Eigene Wünsche und Bedürfnisse bleiben so unerfüllt, weshalb die sexuelle Lust zunehmend verkümmert.
Sich zu offenbaren und über eigenen sexuelle Vorlieben zu sprechen, ist häufig schambehaftet. Meist ist diese Scham auf die eigene Prägung aus der Herkunftsfamilie oder durch als peinlich empfundene Momente aus vorherigen Beziehungen zurückzuführen. Dabei sind die Wünsche in den meisten Fällen gar nicht so ausgefallen und würden bei einer direkten Ansprache auf offene Ohren stossen. Theratalk, das “Ressourcen-Aktivierungs-System” (Kosten: Euro 12,50 pro Person) bietet einen Test an, der es beiden Partnern ermöglicht, herauszufinden, wo Schnittpunkte der gemeinsamen Sexualität liegen. Jeder Partner füllt diesen Test alleine für sich aus und erhält eine individuelle Auswertung, die aber auf den kombinierten Antworten beider Partner beruht. Auf diese Art und Weise besteht nicht die Gefahr, dass der Andere die eigenen Wünsche abstossend finden könnte, denn diese bleiben geheim.
Intimität als Verstärker für Lust und Leidenschaft
Um Lust und Leidenschaft in einer Langzeitbeziehung aufrecht zu erhalten, haben sich sich folgende Tipps bewährt:
1. Nehmen Sie sich aktiv, bewusst und geplant Zeit für Liebe. Unlust ist immer auch ein Resultat von zu wenig Nähe, zu wenig Zeit – einfach zu wenig von allem. Entscheiden Sie ganz bewusst, wie viel zeitliche Ressourcen Sie für Ihr Liebes- und Beziehungsleben einplanen möchten.
2. Reden, Reden, Reden – das schafft Nähe, Vertrautheit und Verbundenheit. Emotionale Nähe ist ein Garant dafür, auch seinen sexuellen Raum wieder öffnen zu können.
3. Planen Sie sich bewusst Zeit für sich selbst und Ihren Körper ein. Je besser Sie wissen, wie Sie sich selber Lust verschaffen können und die Verantwortung für eigene sexuelle Bedürfnisse übernehmen, desto autonomer werden Sie entscheiden können, was Sie wollen und worauf Sie Lust haben. Die Entscheidung, lustvollen Sex mit den Partner zu haben, obwohl vielleicht nicht alle anderen Probleme in der Beziehung ausdiskutiert sind, liegt dann bei Ihnen.
4. Schaffen Sie sich verbindliche Rituale. Dies können etwa Paarabende, gemeinsame Wochenenden, feste Gesprächszeiten oder auch verbindliche Zeitfenster für Intimität und Nähe sein. Verbringen Sie Zeit miteinander, ohne über Alltgasthemen wie Beruf, Kinder, Haushalt oder Familie zu reden, sondern geben Sie leichten Themen wieder mehr Raum.
5. Zeigen Sie sich aktiv Ihre Liebe. Wenn das im Moment schwer fällt, können Sie dies üben. Um wieder einen Blick dafür zu bekommen, können Sie Ihrem Partner jeden Tag zurückmelden, woran Sie heute gemerkt haben, dass Sie ihm wichtig sind. So haben Sie die Möglichkeit, im Alltag wieder Dinge zu sehen, die Sie davor vielleicht gar nicht mehr wahrgenommen haben. Sie bekommen wieder mehr Gefühl dafür, auf welche Art Ihr Partner versucht, Ihnen seine Liebe zu zeigen.
Fazit
Aus meiner Sicht sind Nähe und Intimität keine Liebestöter, sondern viel mehr eine Voraussetzung für Leidenschaft und Lust. Viele Paare fragen sich, ob es tatsächlich möglich ist, nach vielen gemeinsamen Jahren noch erotische Lust auf den Partner zu empfinden und das Verlangen zu haben, den Anderen zu spüren, wenn man an ihn denkt. Ich bin der Meinung, ja, auf jeden Fall! Aber so wie für alles andere müssen Sie auch für Ihre Sexualität Zeit investieren und mutig sein, wenn Sie sich auf das Abenteuer Lust (wieder) einlassen wollen.