Interview: «Worte finden» – therefore

Nancy Glisoni praktiziert als Klinische Sexologin und Familientherapeutin in Baden. Im Gespräch erzählt die Fachfrau für Themen, «über die man nicht spricht», wie man darüber spricht und wie wichtig die Wortwahl für die Veränderung von Denken und Fühlen sein kann.

Frau Glisoni, Sie sind Paar- und Familientherapeutin. Sie stellen also Fragen, Ihre Klienten antworten. Was wäre denn ein Einstieg, zum Beispiel in unser Gespräch?

Ich hätte Ihnen schon mal erste Fragen vorab per Mail geschickt, damit Sie sich auf unser Gespräch ein-stimmen können und wissen, dass ich nicht sofort auf Ihre Kindheit und die Beziehung zu Ihren Eltern zu sprechen komme. Das ist zwar nur ein Klischee, aber ein fest verankertes. Meine Kunden kommen teils mit sehr intimen, persönlichen Anliegen zu mir. Sie müssen erst einmal Vertrauen fassen. Deshalb ist meine erste Frage oft einfach nur: Wie geht es Ihnen heute?

 

Wie sieht Ihre Klientel aus? Wer holt sich bei Ihnen Rat?

Ich habe vor Jahren als Therapeutin mit Eltern- und Erziehungsthemen angefangen und gemerkt: Oft kommen die Paare wegen einer vermeintlichen Trotzphase, Pubertät und Verhaltensauffälligkeit ihrer Kinder zu mir und dann zeigt sich, dass das eigentliche Problem in der Beziehung der Eltern zueinander liegt. Neben einer gelingenden Kommunikation ist auch Sexualität dabei ein wesentlicher Aspekt. Für den ersten Teil, also Kindererziehung oder Familienberatung,  gibt es sehr viele, teilweise auch kostenlose Angebote. Für den zweiten Teil, von der Paar- bis hin zur Sexualberatung, gibt es schon weniger Angebote. Genau dort liegt aber meiner Erfahrung nach ein sehr grosses Bedürfnis. Wie sollen Eltern Erziehungs- oder Familienprobleme angehen können, wenn Paar- oder Sexualthemen schon die Basis der Beziehung stark beeinträchtigen? Deshalb bewege ich mich gerade weg von der Familientherapie hin zur Paar- und Sexualtherapie. Dabei arbeite ich nicht nur mit Paaren, sondern auch mit Einzelpersonen. Und da kommen wirklich die unterschiedlichsten Menschen zu mir. Von der 25-jährigen Studentin über den 45-jährigen Geschäftsmann bis zum 75-jährigen Pensionär.

Je nach Lebensphase fallen die Fragen und Probleme unterschiedlich aus? 

Nicht unbedingt. In der Paartherapie geht es häufig darum zu lernen, wie man seine Bedürfnisse und Wünsche adäquat äussert oder wieder einen gemeinsamen Weg findet, Alltagsprobleme zu bewältigen und verlorene Nähe wieder aufzubauen. In der Sexualtherapie kommen Männer, Frauen und Paare jeden Alters mit den verschiedensten Anliegen. Themen sind zum Beispiel unvereinbare sexuelle Vorlieben, Erektionsprobleme, Pornosucht oder Sprachlosigkeit im Rahmen der Sexualität.

 

Kommt man da als Sexualtherapeutin auch mal an seine Grenzen?

Auch das kommt vor. Fachlicher Austausch in Form von Intervision und Supervision ist wichtig und ermöglicht mir, mich zu reflektieren. Wenn ich im Erstgespräch oder im Verlauf der Therapie merke, dass ich nicht die richtige Fachperson bin, empfehle ich immer entsprechend ausgebildete Kollegen weiter. Haben Sie ein Beispiel? Ich hatte einen Klienten, der unter Stress zwanghaft masturbieren musste, so dass ein normaler Tagesablauf nicht mehr möglich war. Dazu kamen noch soziale Isolation und finanzielle Not. Das war ambulant nicht zu lösen und so vermittelte ich ihn an einen Psychiater in seinem Wohnkanton. Letztlich halfen ihm ein Klinikaufenthalt und Sozialarbeiter, um wieder in ein für ihn gutes Leben zu finden. In meinem Beratungsalltag sind solche Fälle aber eher Ausnahmen.

 

Wie spricht man über etwas, über das man nicht spricht? Nicht mal mit dem Partner?

Mein Vorteil ist ja gerade, dass ich nicht der Partner oder ein Familienmitglied bin. Einer fremden Person kann man sich viel einfacher öffnen. Die Voraussetzungen dafür sind Sympathie, Respekt und Wertschätzung. Menschen orientieren sich eher an nonverbalen Signalen, die dann ein inneres Empfinden auslösen. Wenn das Gefühl passt und die Sympathie von beiden Seiten stimmt, kann sich mein Gegenüber öffnen. Nur dann kann eine Beratung erfolgreich sein. 

 

Ihre Therapie besteht aus Gesprächen, also aus Worten. Eine vielleicht triviale Frage: Wie wichtig ist die richtige Wortwahl dabei?

Absolut zentral! Wobei es nicht an mir ist, die Worte zu wählen. Es sind die Klienten, die oft zum allerersten Mal Worte für ihre Gefühle oder Situation finden müssen. Sie sprechen Dinge bei mir oft zum ersten Mal aus. Dann ist es wichtig zu verstehen, was sie damit überhaupt meinen. Bei Paaren ist das ein Prozess zu dritt und oft ein ganzes Stück Arbeit, bis man überhaupt erst weiss, wovon das Gegenüber überhaupt genau spricht; was gemeint ist.

«Humor ist ein wichtiges Mittel in der Gesprächstherapie. Lachen ist ein Türöffner. Und lachen verbindet.»

Ist Humor ein Mittel, um eine Gesprächssituation zu entspannen? Darf man lustig sein, wenn es um Erektionsstörungen geht?

Wenn es passt, natürlich! Humor ist ein wichtiges Mittel in der Gesprächstherapie. Gemeinsam zu lachen verbindet. Und nicht zuletzt ist Lachen immer auch ein Türöffner. Wenn jemand über sich lachen kann, befreit und entspannt das. 

 

Nehmen wir an, es kommt ein Paar in Ihre Praxis, Mitte 40 und die hatten seit zwei Jahren keinen Sex mehr. Der Mann hat in-zwischen eine Affäre mit …

Affären gibt es bei mir nicht.
Wie bitte? Das sind bei mir Aussenbeziehungen. Affäre ist ein extrem klischeebehafteter Begriff. Und er ist von vornherein negativ konnotiert. Ich bespreche mit dem Paar, welche Bezeichnung sie passend finden und in der Regel ist die Aufarbeitung der Situation mit einem neutralen Begriff einfacher. Emotionen haben dabei natürlich nach wie vor ihren Platz. Es geht schliesslich um Vertrauensverlust und starke Verletzungen. 

 

Also hier wird die Wortwahl auf einmal entscheiden? Aussenbeziehung statt Affäre.

Genau. Was wir sagen, denken und fühlen, beeinflusst sich gegenseitig. Hier beginnen wir halt mal bei Sagen. Das ändert im besten Fall auch das Denken und Fühlen.

 

Ein Parallele zu unserer Arbeit als Kommunikationsagentur.­ Wir­ beeinflussen­ Wissen-, ­Einstellung und Verhalten unserer Zielgruppen im Sinne unserer Auftraggeber. Negativ ausgedrückt und der Werbung immer wieder vorgeworfen, manipulieren wir Menschen. Tun Sie das auch?

Im eigentlichen Wortsinn, ja. Manipulieren von «manus», Hand und «piere», füllen. Also etwas in die Hand nehmen, in der Hand haben und führen. Dabei biete ich den Rahmen. Ich begleite meine Klienten bei ihrem Veränderungsprozess und handle immer in ihrem Sinne. 

 

Und­ diesen ­Sinn­ finden­ Sie?

Nein, den findet der Klient – mit meiner Unterstützung. Und dann helfe ich dabei, sein Fühlen, Denken, Handeln in seinem Sinne positiv zu entwickeln.  

 

Präzision im Denken und Handeln ist Ihnen also sehr wichtig. Wenn wir gerade bei der richtigen Begriffswahl sind: Wie direkt oder konkret sind sie da?

Manche bekommen sicher schon rote Ohren, wenn sie nur die Worte Penis oder Vagina hören. Auch da ist es mir wichtig, die entsprechenden Begriffe zu benutzen. Ich muss ja genau verstehen, wo das Problem liegt und das geht nur über eine klare Sprache. Viele haben nie gelernt, über ihre Wünsche, Bedürfnisse, Fantasien und Ängste zu sprechen und den meisten fällt das ziemlich schwer. Da heisst es dann «da unten» statt Penis oder Vagina.  

 

Auf den ersten Blick eher eine kindliche Bezeichnung. Liegen da auch immer die Probleme? 

Oft, aber nicht nur. Auslöser für sexuelle Funktionsstörungen oder Lustlosigkeit gibt es viele. Aus Paaren werden Eltern, der Leistungsdruck im Geschäft nimmt zu, die Rollen innerhalb der Beziehung verändern sich; hinzu kommen kulturelle Hintergründe, aber auch fehlende Erfahrungen mit dem eignen Körper, wenn Sexualität oder ganz konkret die Masturbation von den eigenen Eltern negativ bewertet oder sogar verboten wurde. Sie sehen, damit ich beurteilen kann, wie ich meinen Klienten in seinem Anliegen unterstützen kann, braucht es eine sorgfältige Anamnese. Aber es stimmt schon: Der Umgang der Eltern mit dem Thema Sexualität ist prägend und ein Schlüssel von vielen zu einer erfüllten Sexualität.  

 

Das heisst, am besten therapiert man die Eltern, statt später die Kinder?

Prävention und Aufklärung sind mir wichtig. Ich halte auch Referate zur sexuellen Entwicklung von Kindern, speziell für Eltern. Hier erfahren sie, dass die Neugier auf den eigenen Körper normal ist und dass es gut ist, sich selbst kennenzulernen und eine positive Beziehung zu sich und seinem Körper haben zu dürfen. Sie lernen, wie sie ihre Kinder bei dieser Entwicklung unterstützen können.

 

Wie werden Ihre Kunden eigentlich auf Ihr Angebot aufmerksam? Über Erektionsstörungen spricht man ja kaum mit seinen Freunden­ und­ empfiehlt­ dann­ diese­ nette­ Frau Glisoni in Baden weiter, oder?

Das ist tatsächlich so. Während Physiotherapeuten, Zahnärzte, Kunsttherapeuten oder andere Akteure im Gesundheits- und Sozialwesen oft über Empfehlungen an ihre Kunden kommen, muss ich aktiv auf meine Leistungen aufmerksam machen. Und das am besten da, wo sich meine potenziellen Kunden zu ihren Problemen informieren: im Internet. Praktisch alle meine Neukunden kontaktieren mich über meine Website. Nur bei den Elternseminaren ist das anders. Da spielt die Mund-zu-Mund-Propaganda eine sehr viel grössere Rolle.

 

Auf Ihrer Website stehen die «harmlosen» Familienthemen neben Ihren Angeboten in Sexualtherapie wie Pornosucht oder Errektionsproblemen. Schreckt das nicht ab?

Eine Frage, die ich eigentlich an eine Kommunikationsagentur zurückgeben könnte (lacht)! Und ein Thema, über das ich intensiv nachdenke. Einerseits biete ich dieses Spektrum an, andererseits habe ich mein Spezialgebiet in der Klinischen Sexualtherapie. Ich bin mir sicher, dass es mir bei meiner Arbeit sehr hilft, wenn ich weiss, was schlaflose Nächte während dem Zahnen der Kinder für einen Impact auf das Elternschlafzimmer haben. Und auf der anderen Seite, wie sich sexuelle Probleme von Paaren auf einmal in ganz anderen Situationen an den unbeteiligten Kindern entladen können.

 

Das hilft aber nicht bei der Kundenakquisition?

Ja und nein. Vielleicht kann sich ein Paar leichter darauf einigen, eine Beratung zu Erziehungsthemen bei mir zu beginnen, als direkt mit einer Sexualberatung. Sobald das Vertrauen aufgebaut ist, steuern die Klienten dann sowieso irgendwann auf den Kern des Problems zu. Vor allem, wenn sie wissen, dass ich auch diesen Bereich abdecken kann. Hilft also doch? Nochmals: Ja und Nein. Ich überlege mir schon seit einiger Zeit, meine beiden Angebote auf zwei Internetauftritte aufzuteilen. Dann könnte ich zum Beispiel auch etwas konkreter Bloggen.

 

Zurück zur eigentlichen Therapie: Würden Sie sagen, dass die Menschen heute freier sind in ihrer Sexualität?

Unsere Gesellschaft ist sicher offener für verschiedene sexuelle Vorlieben als noch vor 50 Jahren. Aber es gibt immer noch jede Menge Tabus. Das fängt bei den Eltern an, die gegenüber ihren Kindern keine Worte für die Geschlechtsteile finden und entsetzt sind, wenn sich ihr Fünfjähriger für seinen Penis interessiert. Und es hört bei der Werbung auf, wo Menstruationsblut als blaue Flüssigkeit dargestellt wird.

 

Zum Schluss: Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Beruf?

Jeder Mensch, jedes Paar, jeder Termin, jedes Anliegen ist anders. Ich muss flexibel bleiben und kreativ sein. In der Art der Beratung habe ich jede Menge Spielraum. Diese immer wieder neu zu nutzen, finde ich extrem spannend.

 
 
 

Hinter der Geschichte

Familienzeit

Mit ihrem Unternehmen Familienzeit berät Nancy Glisoni Einzelpersonen, Paare und Familien, die sich entschliessen, etwas in ihrem Leben zu verändern oder konkrete Probleme mit ihrer Sexualität haben. Zudem gibt sie als Kursleiterin Seminare für Eltern und Fachpersonen.

Nancy Glisoni

Bevor sich Nancy Glisoni 2013 als Familientherapeutin selbständig gemacht hat, arbeitete die gelernte Sozialpädagogin unter anderem als Pädagogische Leiterin im stationären Rahmen der Jugendhilfe und in der Krisenintervention für Kinder und Jugendliche sowie in der Jugend-, Ehe- und Familienberatung.

Therefore

Kommunikationsagentur & Werbeagentur in Zürich, die Marken stärkt.

www.therefore.ch

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